Aus die Maus, Nikolaus: Die Cusanus Hochschule trennt sich von ihrer Gründungsidee und streicht den „Cusanus“ aus dem Namen. Der letzte Schritt der Neuaufstellung seit 2019 – gleichzeitig eine Erleichterung für alle, die einmal an diesem Bildungsimpuls beteiligt waren. Außerdem wird so der Universalgelehrte Nikolaus von Kues (auf Latein: Cusanus, 1401–1464) mindestens eine der absurd gewordenen Aneignungen los. Ein Kommentar.
Was bleibt?
2019 die komplette Philosophie vor die Tür gesetzt, 2020 im Namen „für Gesellschaftsgestaltung“ ergänzt, 2021 vom traditionsreichen Bernkastel-Kues nach Koblenz umgezogen – und ab dem 3. April 2023 wird die erst 2015 gegründete Cusanus Hochschule anders heißen:
Diese Umbenennung verkündet ein Veranstaltungs-Banner auf der Startseite der hochschule fast schon beiläufig. Oben links auf dem Banner: „hochschule für gesellschaftsgestaltung“, oben rechts mit Sternchen: „wir benennen uns um: cusanus hochschule für gesellschaftsgestaltung“.
Was bleibt damit von der „Cusanus Hochschule“? Es bleibt die Hochschulehochschule, nur echt mit dem nicht mehr so hohen „H“. (Ja, selbst die denkortreiniger*in frönt im Titel der Kleinschreibung, dies allerdings schon seit ihrer Gründung.) Die Umbenennung ist der hochschule auch einen Festakt wert, wie die Übersicht der beworbenen Spring School Forschungsmethoden vorsieht:
Donnerstag, 13. April, 19:00 – 20:30 Uhr
Gemeinsame Feier
Impuls Prof. Dr. Silja Graupe
„Willkommen hochschule für gesellschaftsgestaltung.“ Gemeinsamer Abend aller Hochschulmitglieder
Raum: Gewölbesaal
Ja, willkommen, orthographische Verunstaltung! Also wirklich kein vorgezogener Aprilscherz, obwohl es kein gemeinsamer Abend aller Hochschulmitglieder werden wird, sondern höchstens einer aller hochschulmitglieder. Übrigens: Die Übersicht der Spring School spricht zur Festrednerin Klartext: „Silja Graupe ist Initiatorin der ersten Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Deutschland.“ Dagegen wäre nur das „H“ um eine tragende Säule zu kürzen zu einem „h“, ansonsten ist der Präsidentin die Initiation dieser hochschule aus der Asche der Cusanus Hochschule in der Tat geglückt. Inzwischen muss sie ihre Arbeit nicht einmal mehr am Akademischen Senat vorbei tun, der ihr einst das Vertrauen als Kommissarische Präsidentin ausgesprochen hat. Vertrauen hin oder her, Machtübernahme war besser! So schlecht ist es also doch gar nicht geworden! Deswegen fragt man sich schon, was Silja Graupe am Feier-Tag mittags bei einem weiteren Impuls im Bistro sagen wird zu: „Und was, wenn nichts besser wird? Wege des Philosophierens in prekärer Existenz“, wie das Programm der Spring School ankündigt.
Vielleicht ist wenigstens das ein vorgezogener Aprilscherz.
Keine Spur Cusanus mehr
Was geht denn am 3. April (laut Banner – oder doch erst am 13. April, pünktlich zum Festakt?) überhaupt noch verloren, wenn der Cusanus im Namen gecancelt wird? Einerseits gar nichts: Langsam wird die hochschule eben ihre Altlasten los. Endlich muss man weniger erklären – nicht dass der Cusanus noch irgendwie unterrichtet und dabei erklärt worden wäre, doch niemand muss künftig sagen, dass die hochschule eben nicht das Cusanuswerk ist. (Das Cusanuswerk ist das Begabtenförderungswerk der Katholischen Kirche.)
Andererseits sind Namen eben doch nicht Schall und Rauch, auch wenn wohlgeformte Pressemitteilungen (in diesem Fall noch ausstehend inzwischen erschienen) im Geistes des Nominalismus etwas anderes vermitteln mögen:
(1) „Der freie Geist bewegt sich selbst“ – das war einmal das Hochschulmotto, bis ein Präsidium im Caesarenwahn lieber die Anderen bewegen wollte und schon Monate zuvor untersagt hatte, das Motto nach Außen überhaupt noch zu erwähnen. Cusanus hingegen stand einmal für die Idee einer selbstverwalteten Organisation (siehe „Schiffbruch Selbstverwaltung“. Nicht für Entscheidungen im stillen Kämmerlein. Nicht für eine Hochschule, in der über die Studierenden hinweg ein Umzug nach Koblenz beschlossen wird – übrigens, für alle Mosel-Externen: Nach Koblenz sind es 115 km Fahrstrecke von Bernkastel-Kues, dem Gründungsort der Hochschule. Cusanus setzte sich für den freien Austausch ein – und chasste unliebsame Zwischenrufe nicht kurzerhand.
(2) Cusanus stand zudem für das „Mitspracherecht der Geschichte“ (ein Ausdruck des Schweizer Existenzphilosophen Heinrich Barth), nicht für die Glättung des eigenen Wikipedia-Artikels und einer tendenziösen Selbstdarstellung auf der eigenen Homepage. Ein solches Mitspracherecht würde doch bedeuten, mit dem eigenen Erbe anders umzugehen.
(3) Außerdem verwies Cusanus schon mit seinem Namen im Titel der Hochschule auf eine Philosophie des Geistes, die – wie der angekündigte Mittagsimpuls eben dann doch festhält… inzwischen höchstens noch eine prekäre Existenz an der hochschule fristet, wie eben an vielen anderen Hochschulen dieser Republik. Ganz ehrlich: Methodenkurse wie bei der Spring School gibt es doch seit vielen Jahren bereits anderswo, selbst wenn das Programm im Ganzen einige erkenntnisreiche Beiträge verspricht. (Zum Glück bleibt der Cusanus auch ohne Hochschule an der Mosel, so etwa in der Lectio Cusana, die Prof. Tilman Borsche, einst Professor für Philosophie an der Cusanus Hochschule, seit 2021 regelmäßig weiterhin in Bernkastel-Kues anbietet.)
Künftig wird immerhin kein*e neu aufgenommene*r Studierende*r noch an einer hochschule für gesellschaftsgestaltung studieren, die wie viele andere Institutionen ihren Namen höchstens noch zum schönen Schein trägt (oder eben als Ballast der Geschichte). Das ist ein Wahrheitsprozess und Geschenk für alle, die es mit dem Cusanus-Erbe ernst meinen. Danke! Damit kann wieder in den Vordergrund treten, welche Möglichkeiten mit Cusanus heute verbunden sind – Harald Schwaetzer hat ihn einmal als „Mentor für Europa“ bezeichnet. Rückfragen nach dem Namen und der Geschichte dieser Hochschule dürften mit der Umbenennung aber noch seltener werden. Erleichternd ist es insbesondere für diejenigen, die auf ihre ehemalige Hochschule inzwischen nur noch wie auf eine lang vergangene Beziehung blicken: Soll sie doch machen, was sie will.
Erinnern wir uns zum Ende der Cusanus Hochschule noch einmal an den Anfang des Endes: 2019 kündigte das Präsidium eine akademische Stiftungsprofessur, weil deren Inhaber, I.B., in einem internen Brief die mangelnde Erfahrung und Kompetenz dieses Präsidiums in akademischen Führungsfragen angeprangert hatte. Der gechasste Professor, ein Cusanus-Forscher, hat eine neue akademische Heimat an der 1427 gegründeten Katholischen Universität Leuven gefunden. Den Ruf dorthin hatte Cusanus zu seiner Zeit zwei Mal abgelehnt. Heute wäre er ihm vermutlich schnellstens dorthin gefolgt.
Ausführlicher Hintergrund: In der Zeitschrift Sozialimpulse habe ich 2021 die Lehren aus dem Scheitern der Cusanus Hochschule zusammengefasst. Der Beitrag ist hier im Blog verfügbar.
Lektürehinweis zu Cusanus: Harald Schwaetzer. „Nikolaus von Kues – Mentor für Europa.“ In Coincidentia. Zeitschrift für Europäische Geistesgeschichte Bd. 9/1 (2018), S. 7–38. Hier auf der Website des Philosophischen Seminars.