Die unbeweglichen Beweger

Das Präsidium der Cusanus Hochschule hat die akademische Freiheit missachtet, als deren Hüterin sie gerufen war. An diesem Amt immer noch festzuhalten, kommt einer Machtdemonstration gleich und verhindert eine offene Debatte um die Zukunft. Eine kurze Bestands- und Bedenkensaufnahme.

Am 28. Januar gaben die Mitglieder des Präsidiums drei im stillen Kämmerlein getroffene Entscheidungen bekannt, die Philosophie an der Hochschule betreffend: die Kündigung einer Forschungskooperation, die Einstellung von Berufungsverhandlungen, ein Immatrikulationsstop für die Philosophiestudiengänge. Diese Entscheidungen hatten das Potential, eine gelebte Philosophie des Geistes aus der Cusanus Hochschule zu verdrängen. Im weiteren Verlauf sollte sich zeigen, dass die ständige Sorge eines Zerbrechens der Hochschule am Außen – in Fragen der Finanzierung und staatlicher Anerkennung – lange Zeit den Blick vom langsamen Zerbrechen im Inneren abzulenken vermochte. Wo nun dieser innere Bruch im Anschluss an diese Entscheidungen auf die Spitze getrieben war, sprach das Präsidium zwar von ‚Fehlern‘. Sprach’s, doch blieb im Amt.

Fünf Wochen später, am 5. März schließlich haben sechs Mitglieder des Instituts für Philosophie, darunter drei Professoren sowie eine Privatdozentin, geschlossen ihre Kündigung eingerichtet. Ein monatelanger Machtkampf scheint damit entschieden. Alle Mitglieder der Hochschule wurden zu Leidtragenden, nicht zuletzt auch die Studierendenschaft.

Verteidigung gegen die freien Künste?

Ohne Zweifel dürften die drei Entscheidungen des Präsidium dem Geist der Hochschulgründung ebenso entgegenlaufen wie der landläufigen Auffassung akademischer Freiheit: Hier versuchten Akademiker_innen, anderen Akademiker_innen den institutionellen Rahmen zu verunmöglichen, weiter zu lehren und zu forschen. Sie entschieden über andere. Hier setze ich hinzu: wohl aus dem ungelehrten Nichtwissen darüber, was die Philosophie an der Cusanus Hochschule überhaupt tut. Denken nämlich, „Wahrnehmen in einem geistigen Raum“, wie es der Leiter des Instituts für Philosophie noch bei der Verabschiedung der Absolvent_innen Anfang Februar erklärte. Vielleicht ist dieses Denken auch nicht erwünscht. Wer als Präsidium nicht zu verstehen vermag, was unter dem eigenen Dach vor sich geht – darunter: welche Wünsche und Ideale dort gelebt werden – hat in einer Hochschule, die unter ‚akademischer Selbstverwaltung‘ steht, doch besser den Hut zu nehmen.

Die Entscheidung des akademischen Senats vom 1. März, ein konstruktives Misstrauensvotum gegen die Präsidentin zwar zuzulassen, darüber jedoch nicht abzustimmen, kann in dieser Situation als verpasste Chance gewertet werden. Oder auch als Versuch einer eskalierenden Machtdemonstration weniger in diesen Tagen. Womöglich reichte die Einsicht des Präsidiums weniger weit, als es die Senatsmitglieder vermuteten, die sich gegen die Abstimmung über das Misstrauensvotum entschieden. Ein Zerfall der Hochschule schien nun unausweichlich – ich schreibe bewusst Zerfall, um das häufig gebrauchte Wort ‚Trennung‘ in seiner Phantasielosigkeit zu vermeiden.

Thron in Trümmern.
Wir bleiben auf dem Thron – et pereat Hochschule? Symbolbild by J.B. Hill (CC BY 2.0)

Unerhörte Rücktrittsforderungen

Wäre es bei den Entscheidungen des Präsidiums geblieben, die der akademische Senat in seiner letzten Sitzung für ungültig erklärte, hätte es womöglich noch eine Perspektive für die Philosophie an der Hochschule gegeben.

„Darum sehen wir als einzig verbleibenden Ansatzpunkt, die Zukunft der Hochschule zu verhandeln, den Rücktritt der amtierenden Präsidentin, auf den unmittelbar eine Hochschulklausur folgen wird, um die so wieder beweglich gewordenen Umstände konkret auszugestalten.“

Forderung von 35 Studierenden der Cusanus Hochschule, 5. März 2019 (Auszug).

Es blieb also nicht bei den Entscheidungen des Präsidiums: Selbst als Studierende diese deutliche Rücktrittsforderung veröffentlichten, stieg das amtierende Präsidium nicht vom Thron. Keine Reaktion auf eine Äußerung eines Drittels der Studierenden, das ist auch eine Entscheidung. Vielmehr hielt das Präsidium an einem Brief fest, in dem von einem „Raum für einen Neustart der Hochschule“ die Rede war:

„Die Unterzeichnenden sind sich darüber bewusst, dass der Neuaufstellungsprozess der Cusanus Hochschule für viele auch schmerzhafte Elemente enthält. Zugleich sind wir aber auch sehr zuversichtlich, dass wir nun die Chance haben, zu einer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung zu werden, in der Wissen, Reflexion und Handeln noch stärker aufeinander bezogen sind.“

Brief des Präsidiums zu den Kündigungen, 5. März 2019 (Auszug).

‚Noch stärker‘ als dies das Präsidum gerade zu zeigen vermag? Kaum auszudenken, was dann passiert. Angesichts eines solchen Klammerns an die Deutungs- und Hochschulhoheit der Gegenwart wirken zudem alle im Brief enthaltenen Angebote einer gemeinsamen Gestaltung der Hochschule mit den Studierenden geradezu lächerlich.

Erste unter gleichen?

Warum ist das Präsidium noch nicht zurückgetreten, um den Raum der Möglichkeiten wieder zu öffnen? Ohne zu mutmaßen lassen sich nur jene Worte an das Präsidium richten, die Johann G. Fichte vor über 200 Jahren angesichts der Zensur verlautbaren ließ:

Fürsten, dass ihr nicht unsere Plagegeister seyn wollt, ist gut; dass ihr unsere Götter seyn wollt, ist nicht gut. Warum wollt ihr euch doch nicht entschliessen, zu uns herabzusteigen, die Ersten unter Gleichen zu seyn? Die Weltregierung gelingt euch nicht; ihr wisst es! Ich mag euch hier nicht – mein Herz ist zu gerührt – die Fehlschlüsse vorrücken, die ihr bisher alle Tage gemacht habt, euch nicht die weitaussehenden Pläne vorrücken, die ihr bisher alle Tage gemacht habt […].

Johann G. Fichte, „Zurückforderung der Denkfreiheit vor den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, 1793″, Fichtes Werke, Bd. IV, 27.

‚Erste_r unter Gleichen‘ zu sein – darauf möchte sich das Präsidium nicht einlassen. Selbst unbeweglich bewegt es so das Schicksal der Hochschule in den Untergang des Ideals einer Hochschule für Philosophie und Ökonomie.

Die gute Nachricht ist: Die Philosophie, wie sie an der Cusanus Hochschule leben konnte, wird damit nicht untergehen. „Der freie Geist bewegt sich selbst“, wie es der (mehr-als-)Namenspatron der Hochschule, Nikolaus Cusanus, auszudrücken vermochte. Sollte es keine Verständigung über eine Zukunft innerhalb der Hochschule geben, so wird diese Philosophie auch die Entstehensbedingungen der Hochschule überdauern. Sie hat ihren Ort in den Menschen, die sie leben und tragen. Und die sind in den vergangenen Jahren deutlich mehr und womöglich auch klarer geworden. So werden sie eines Tages vielleicht den heutigen Mitgliedern des Präsidiums mit Fichte zurufen können:

Einst werdet ihr […] mit uns staunen, dass ihr durch eure Unternehmungen blindlings Zwecke befördern musstet, an die ihr nie gedacht habt. Ihr seyd gröblich irre geleitet; Glückseligkeit erwarten wir nicht aus eurer Hand, wir wissen es ja, dass ihr Menschen seyd […].

Johann G. Fichte, „Zurückforderung der Denkfreiheit vor den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, 1793″, Fichtes Werke, Bd. IV, 28.

Mit ihrer Weigerung, die Konsequenz ‚Rücktritt‘ aus ihrem Handeln zu ziehen, beweist das Präsidium womöglich eine eigene Form dieser ‚irren(den) Leitung‘. Errare humanum – et praesidium – est.