Wie steht es um das Narrativ der ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ an der neu aufgestellten Cusanus Hochschule? In deren Öffentlichkeitsarbeit nimmt der Begriff großen Raum ein, in durchweg positiver Konnotation. Eine kritische Stellungnahme wird derzeit bereits intern diskutiert. Verfasst hat sie Prof. Frank Beckenbach, seines Amtes Professor für Plurale Ökonomie an der Cusanus Hochschule. Er verweist auf die rechtspopulistische Vereinnahmung eines bisher noch unscharfen Begriffs und unterstellt seinen Kolleg_innen eine einseitige Lesart der wirtschaftswissenschaftlichen Theorien. Da es berechtigtes öffentliches Interesse am Inhalt dieser Stellungnahme geben dürfte, veröffentlicht die denkortreiniger.in hier eine Zusammenfassung und Auszüge. Zuvor jedoch ist über die Geschichte des Narrativs zu sprechen.
[Dieser Beitrag war bis zum 23. September 2019 nur Studierenden der Cusanus Hochschule zugänglich.]
Ein unglücklicher Zeitpunkt
Übergangspräsidentin Silja Graupe verkündete Ende Januar 2019 den Philosophie-Studierenden den Anfang vom Ende des Philosophie-Instituts. Gleichzeitig schickte sie eine E-Mail an die Ökonomie-Studierenden – mit der Einladung, sich über das neue ‚Narrativ‘ des Instituts für Ökonomie zu informieren, das seit Herbst entwickelt wurde: ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘. Damit wolle man der Sprachlosigkeit gegenüber etablierten neoliberal durchdrungenen Begriffen begegnen und das spezifische Lehr- und Forschungsprofil des Instituts trefflicher darstellen. Doch während der Hochschulkrise empörte es viele, dass dieses Narrativ nicht mit derjenigen studentischen Beteiligung entstanden ist, die in diesen Fragen zuvor oft eingefordert wurde. Daher sollten von März an neue Partizipationsmöglichkeiten an der Entwicklung des Narrativs geschaffen werden. Auch die getrennte Kommunikation über Ökonomie-Narrativ-Gedeih und Philosophie-Verderb sorgte für Unmut. In den Augen vieler Studierender war es doch eine Hochschule von Ökonomie und Philosophie, worum sie sich in den folgenden Wochen vergeblich bemühen werden.
Heute sprechen selbst einige Ökonomie-Studierende davon, ‚einfach nur noch fertig‘ werden zu wollen. Leider werden damit auch Initiativen der Studierendenschaft wie die alljährliche und bislang immer gut besuchte Herbstakademie in Mitleidenschaft gezogen – die Anmeldung dafür ist in diesem Jahr noch geöffnet (Programm hier). Es fragt sich, ob der Alleingang des damaligen Präsidiums nicht sowohl der Wirklichkeit, als auch der Möglichkeit einer freien Hochschule in Deutschland erheblichen Schaden zugefügt haben könnte.
Offensive für das neue Narrativ
Während also Ende Januar harte Zeiten für die Philosophie an der Hochschule gekommen waren, konnten viele im selbstverwalteten Studierendenhaus nur lächeln über den Kolibri auf der schick aufbereiteten Präsentation des neuen Narrativs. Das ließ sich zudem wunderbar wortspielerisch verhöhnen: von „Unsinn-Ökonomie“ bis „Gemeinsein-Ökonomie“ – das Präsidium hatte schließlich unter Verabsolutierung eigener Vorstellungen die in Kues lebendige Philosophie zu verunmöglichen und von möglichen Schwächen im Bereich der Finanzierung abzulenken versucht. Mindestens der Zeitpunkt der ersten Gemeinsinn-Offensive war also nicht gerade glücklich gewählt. Eine inhaltliche Debatte um das Narrativ blieb demnach auch weitestgehend aus; auch die Fertigstellung der Materialien selbst verzögerte sich durch die Hochschulkrise.
Mit der ‚Neuaufstellung‘ der Hochschule startete das Präsidium in Personalunion mit dem Institut für Ökonomie im Frühjahr eine große Öffentlichkeits-Offensive zur ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ – vorgestern erschien erst wieder ein Artikel in der Frankfurter Rundschau. An erklärtem Mut zur Debatte über das Narrativ fehlt es dabei nicht. So hieß es auf der Internetpräsenz der Hochschule Ende Juni: „Mit zwei Presseartikeln bringt die Cusanus Hochschule ihren Ansatz für eine Gemeinsinn-Ökonomie in die Debatte.“ (Siehe hier und hier.) Öffentlich tritt dabei vor allem Reinhard Loske in Erscheinung. Loske ist neuer Präsident und Professor für Nachhaltigkeit und Gesellschaftsgestaltung an der Hochschule und als ehemaliges Mitglied des Bundestags ein Öffentlichkeits-Profi. Häufig wärmt er die Kritik am homo oeconomicus als Begründung für „Gegenmodelle“ auf. Im April hat er jedoch einen wichtigen Artikel in der FAZ veröffentlicht, in dem er strukturelle Veränderungen in der Wissenschaft skizziert, um der Klimakrise zu begegnen. Auch Stephan Panther, Professor für Ökonomie und interdisziplinäre Institutionenforschung an der Hochschule, hat in der agora42 schon wohlmeinend zum ‚Gemeinsinn‘ geschrieben. Aus dem einheitlich auftretenden fünfköpfigen Professorium der Ökonomie fehlt also in der Öffentlichkeit einzig die Stimme Frank Beckenbachs.
Beginn der internen Debatte
Der Ökonomie-Professor ist schon eine Weile nicht einverstanden mit dem Narrativ. Nachdem dieses zunehmend die mediale Außendarstellung prägt, erläuterte er seine Kritik an der Gemeinsinn-Ökonomie vor kurzem auch im Seminar vor Studierenden. Im Senat der Hochschule, in dem jüngst unter Protest von Studierenden der Präsident das Stimmrecht erhalten hatte, herrscht wieder Zwist deswegen. Beckenbach hat jedoch auch zur Feder gegriffen und auf 20 Seiten seine Kritik erläutert: „Vom ‚Gemeinsinn‘ zur ‚Gesellschaftsanalyse und –gestaltung‘. Überlegungen zu den zukunftsfähigen Leitvorstellungen der Cusanus-Hochschule“:
„Diese Ausarbeitung beschäftigt sich kritisch mit den Ideen zu einer ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘, die ursprünglich als Orientierung für die Studierendeneinwerbung (offenbar unter Hinzuziehung externer Berater) vorgeschlagen wurde und aufgrund von aktuellen Veröffentlichungen von fast allen Professoren/innen hinterrücks zur Leitlinie für die Hochschule geworden ist. Nicht nur diese klandestine Inthronisation auch die für diese Orientierung angeführten Argumente spiegeln nicht die für eine kritische Hochschule gebotene Diskursorientierung wider.“
Beckenbach macht vor allem zwei Punkte: Er kritisiert, wie durchdringend in der Öffentlichkeit mit dem neuen ‚Narrativ‘ gearbeitet wird. Dass die Hochschule damit im Außen identifiziert wird, ist von den Erfinder_innen gerade gewünscht, in seinen Augen jedoch problembehaftet. Wie dies geschieht, führt er jedoch kaum aus. [1] Doch er meldet inhaltliche Zweifel an den Argumenten an, die die anderen Professor_innen für die Gemeinsinn-Ökonomie begründend ins Feld führen. Das Papier schickt er zunächst an die (nicht-studentischen) Mitarbeiter_innen am Institut für Ökonomie. Inzwischen kursiert sein Aufsatz auch unter Studierenden. Ihnen erklärte Beckenbach: Präsident Loske habe ihm nahegelegt, den Aufsatz in dieser Form nicht zu veröffentlichen. Frank Beckenbach lässt hierzu per E-Mail mitteilen, er hoffe auf eine „substantielle interne Diskussion“ zu seinen Überlegungen, ohne auf weitere Punkte einzugehen. Die Referentin der Vizepräsidentin Graupe (Graupe hat im Monat August Urlaub) lässt dazu nur feststellen, dass für den September ein Tag des Instituts für Ökonomie geplant ist, an dem neben Frank Beckenbach mit einem Referat auch Studierendenvertreter teilnehmen werden. Sie bezeichnet sein Papier als „interne, [an das] Institut [für Ökonomie] gerichtete Abhandlung“, die „als Diskussionsgrundlage“ gedacht war. Frank Beckenbach hatte gegenüber Studierenden jedoch zumindest dargelegt, er habe sein Papier öffentlich als Replik auf den nachfolgend zu thematisierenden Essay einreichen wollen, wovon ihm eben abgeraten wurde.
Kritik an der Unschärfe des ‚Gemeinsinns‘
Zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht Beckenbach einen Essay, den Graupe, Loske und Walter O. Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Hochschule, gemeinsam in der Zeitschrift GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik veröffentlicht hatten: „‚Erkühne Dich, weise zu sein!‘ Grundrisse einer Gemeinsinn-Ökonomie“ (nicht frei zugänglich, Volltext jedoch hier). In den Augen Beckenbachs schaffen es Graupe, Loske und Ötsch (G/L/Ö) darin nicht, den bemühten Begriff ‚Gemeinsinn‘ hinreichend zu schärfen. So geht er verschiedene Möglichkeiten durch, wie ihr ‚Gemeinsinn‘ verstanden werden könnte: (a) als Leitstern zur Erforschung gesellschaftlicher Utopie im Kapitalismus, (b) als zu bildendes Sinnes-Vermögen des Menschen und als (c) die Gemeinschaft in den Blick nehmender Bezugspunkt für sittliches Handeln im Wirtschaftsleben – bei Loske heißt letzteres: ein in die Ökonomie integriertes Gemeinwohl.
Beckenbach sieht alle drei Möglichkeiten in Begründungsnot und arbeitet heraus, unter welchen Voraussetzungen die essayistischen Überlegungen von G/L/Ö stehen – Voraussetzungen, die sie jedoch laut Beckenbach nicht ausreichend reflektieren und die in sich Widersprüche enthalten. Hier gelte es nachzuschärfen, wofür Beckenbach Fragen mitliefert, etwa:
„Von wem wird an welchem gesellschaftlichen Ort der Gemeinsinndiskurs geführt? […] Was geschieht im Falle einer Nicht-Einigung in Bezug auf die Gemeinsinn-Orientierung (sei es, daß dazu unterschiedliche Vorstellungen bestehen, sei es, daß andere Orientierungen verfolgt werden)?“
Kritik an der wirtschaftstheoretischen Fundierung
Beckenbach kritisiert am G/L/Ö-Essay zudem einen steinbruchartigen Umgang mit ökonomischen Theorien. So sieht Beckenbach bei G/L/Ö eine einseitige Lesart von Adam Smith sowie Hayek und weiteren Chicago-Ökonomen am Werk. Sie würden durchgängig mit der Annahme eines kleinsten gemeinsamen „moralignoranten Nenner[s]“ in der ökonomischen Theorie arbeiten, was jedoch für Beckenbach in Ansehung der Forschungslage eine unsachgemäße Vereinfachung ist. So heben G/L/Ö nur die bekannten Passagen aus Smiths Werk Wealth of Nations hervor und lassen andere Werke (etwa die Theory of Moral Sentiments) unerwähnt – obwohl sie sicher darum wissen. Auch an anderen Stellen erschweren G/L/Ö für Beckenbach die wissenschaftliche Debatte, indem sie „disparate Vorstellungen und Theorien in einen Topf“ werfen. Ob es das wert ist, um „die Kategorie des Gemeinsinns zu einer relevanten Orientierungsgröße zu machen“?
Zu bemerken ist hierzu, dass die betreffenden Artikel der Mitglieder des Instituts für Ökonomie sicher nicht nur als Beiträge zur wissenschaftlichen Debatte zu sehen sind – gerade auch, wenn sie als ‚Essay‘ gekennzeichnet sind oder in den überregionalen Medien erscheinen. Dass beispielsweise Loske in der taz die „lange Geschichte“ des Eigennutzes in der Wirtschaft auf Stichpunkte herunterbricht, schadet seinen Ausführungen nicht wirklich. Es geht wohl darum, einen Begriff zu prägen – vielleicht sogar neu zu prägen –, der auszudrücken vermag, wofür bisher die Sprache fehlt, vor allem in der trägen Welt der Wirtschaftswissenschaften an vielen anderen Fakultäten. Zudem könnte ja die Gemeinsinn-Ökonomie durchaus die Funktion einer Fahne haben, unter der sich Student_innen und mögliche Spender_innen versammeln können.
Auch faschistische Instrumentalisierung des Begriffs
Gerade mit der neuen Prägung des Begriffs hat Beckenbach jedoch Schwierigkeiten. Er verweist auf die Verwendung des Begriffs in der nationalsozialistischen Jugenderziehung. Damit will er wohl aufzeigen, in welchem schwierigen Kontext die Berufung auf ‚Gemeinsinn‘ stehen könnte – was G/L/Ö bislang unerwähnt lassen. Er zitiert dabei eine gleichlautende Veröffentlichung der Forschungsgruppe Politik der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2002:
„Die kategorische Ablehnung der Individualität war charakteristisch für den nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken. In diesem Sinn war von einer ‚Erziehung zum Gemeinsinn‘ die Rede.“
Bertelsmann Forschungsgruppe Politik (Hrsg.): „Gemeinsinn – Gemeinschaftsfähigkeit in der modernen Gesellschaft“, Gütersloh 2002: Bertelsmann Stiftung, S. 24.
Auch die Kampagne der italienischen Lega Nord zur Europawahl 2019 machte vom Begriff ‚Gemeinsinn‘ Gebrauch („Il buonsenso in Europa)“. Beckenbach legt dahingehend nahe, auf den Begriff gänzlich zu verzichten, da ihm eine „anti-moderne[…] Konnotation“ innewohnt.
Eine sinnvolle Unternehmung?
In diesem Sinne liest sich auch Beckenbachs abschließender Abschnitt. Die ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ als Leitvorstellung sei seiner Hochschule nicht zu empfehlen. Besser wäre eine „Verbindung von Gemeinschaftsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeit“, für die Beckenbach auf eigene Veröffentlichungen verweist – was hier nicht kommentiert werden soll. Zudem zeichne sich die Cusanus Hochschule durch ihre „weitgehende Unabhängigkeit von den üblichen akademischen Konformisierungsgepflogenheiten“ aus. Damit könne man auch gegenüber anderen Ansätzen neuer ökonomischer Bildung ein einmaliges Profil entwickeln. Anstatt die Mühe in die „Lancierung eines ambivalenten catch-all Begriffes“ zu stecken, empfiehlt Beckenbach die „konzise Fokussierung auf relevante gesellschaftliche Problembereiche und deren lösungsorientierte Analyse“.
Beckenbachs blinde Flecken
Beckenbach hat dabei wohl vom Begriff der ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘, den er vorrangig vor einem ‚wissenschaftlichen‘ Hintergrund analysiert, auf das gesamte Profil des Instituts für Ökonomie geschlossen. Auch wenn dies mit Blick auf einige Veröffentlichungen so erscheinen mag, ist die ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ nicht einziges Leitbild des Instituts für Ökonomie. Dies stellt von Beckenbachs Seite wiederum eine unsachgemäße Vereinfachung dar. So können wir im im Forschungsprofil des Instituts aktuell lesen:
„In konstruktiver Absicht arbeiten die Mitglieder des Instituts an einer Reformulierung der Ökonomie im Sinne einer lebensdienlichen, ethisch-reflektierten und pluralen Wissenschaft. Auch erforschen und entwickeln sie neue Formen der ökonomischen Bildung, die zur engagierten und reflektierten Teilhabe an ökonomischen, ökologischen und sozialen Veränderungsprozessen befähigen sollen.“
Forschungsprofil des Instituts für Ökonomie der Cusanus Hochschule (Auszug).
Zudem erscheint Beckenbachs Vorwurf einer „klandestinen Inthronisation“ des Narrativs mindestens fragwürdig. Er selbst ist Senats- und Institutsmitglied, hat also Einsicht und Mitspracherechte in diesen Gremien. Beckenbach hat womöglich beim neuen Kleid der Hochschule eine Weile nicht allzu genau hingesehen. Denn die hochschulinterne Debatte über das Narrativ ist keineswegs unmöglich oder liegt in weiter Ferne, was Mitarbeiter_innen aus dem Ökonomie-Institut betonen. Dafür wurden und werden Räume geschaffen, die auch Studierende einbeziehen. Beckenbach habe aus seinem Institut zudem bereits Rückmeldungen zum Aufschlag erhalten.
Dennoch haben es seine inhaltlichen Ausführungen in sich, die Debatte über die ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ als Leitstern der Cusanus Hochschule in konstruktiver Weise voranzubringen – nicht nur intern, sondern auch innerhalb der interessierten Öffentlichkeit. Zuzugeben, dass etwas diskussionswürdig ist und in welcher Hinsicht, ist hier keine Schwäche, sondern eine Möglichkeit, die durchaus im Profil der Hochschule auch im Außen liegen könnte.
Für den Herbst hat Silja Graupe statt der vorgesehenen Studia humanitatis-Seminare zu Semesterbeginn ein gemeinsames Seminar zur ‚Gemeinsinn-Ökonomie‘ für alle Studierenden geplant, gemeinsam mit Stephan Panther. Vielleicht wäre es gut, Frank Beckenbach noch dazu einzuladen?
[1] Nachtrag: In einer früheren Version des Artikels hatte es an dieser Stelle geheißen: „– fest steht zumindest, dass es nicht vom akademischen Senat abgesegnet wurde“. Fest steht vielmehr, wie Lukas im ersten Kommentar richtigstellt, „dass das Narrativ und seine Nutzung in Studierendenwerbung und Fundraising des Instituts während der Institutssitzung Ende Februar bei zwei Enthaltungen und keiner Gegenstimme angenommen wurde“. Ob die notwendige formale Bestätigung des Senats vorliegt, der die Institutsbeschlüsse zu prüfen hat, ist offen.
[Kommentar fabian: Eine Antwort auf die nachfolgenden Äußerungen von Lukas findet sich weiter unten.]
Obwohl er offenbar Aufklärung und kritische Diskussion befördern will, schafft dieser Beitrag das Gegenteil: er leitet in die Irre und schafft ein Diskursklima des Misstrauens. Wegen schlechten Erfahrungen mit dieser Art von Diskursklima in der jüngsten Vergangenheit unserer Institution möchte ich hier als Mitarbeiter am IfÖ, der an der Entwicklung des Gemeinsinn-Narratives beteiligt war, zumindest einige der Punkte richtig stellen:
Fabian
(1.) nimmt im ersten Abschnitt eine einseitige Darstellung des studentischen Meinungsklimas vor (mangelnde Kontroversität in der Darstellung)
(2.) gibt im zweiten Abschnitt Raum für „wunderbare[e]“ Häme und Spott, legitimiert sie somit, statt diese Haltungen zu verurteilen,
(3.) führt im gleichen Abschnitt einen nicht begründeten oder bewiesenen Vorwurf ins Feld, der dem Präsidium unterstellt, eigene Vorstellungen verabsolutiert und damit ‚die‘ ehem. Philosophie verunmöglicht zu haben und diesen Vorgang als Ablenkungsmanöver von „möglichen Schwächen im Bereich der Finanzierung“ intendiert zu haben (Desinformation und Unterstellung)
(4.) bemängelt im gleichen Abschnitt eine fehlende inhaltliche Debatte um den Gemeinsinn-Begriff am IfÖ, ohne diese Behauptung mit Darstellungen anderer IfÖ-Mitglieder als derjenigen von Beckenbach zu kontrastieren und ohne weiterhin die angenommene Notwendigkeit einer solchen Debatte für den Zweck des Kolibri-Narratives kritisch einzuordnen. Damit baut er eine Leerstelle auf, um diese dann zu monieren (Desinformation und mangelnde Kontroversität in der Darstellung)
(5.) behauptet im dritten Abschnitt, dass es „feststeht, dass es [das Narrativ, Anm. L.B.] nicht vom akademischen Senat abgesegnet“ wurde, ohne zu begründen, weswegen die Verwendung des Narratives als Mittel der Studierendenwerbung und des Fundraisings eines Senatsbeschlusses bedurft hätte; v.a. aber ohne anzugeben, dass das Narrativ und seine Nutzung in Studierendenwerbung und Fundraising des Instituts während der Institutssitzung Ende Februar bei zwei Enthaltungen und keiner Gegenstimme angenommen wurde (Desinformation). Ob diese Entscheidung dann nachträglich – wie üblich – vom Senat auch noch formal bestätigt wurde, weiß ich nicht (dann wäre es eine Falschinformation).
Dann widmet sich der Artikel der Veröffentlichung und Bewertung von Auszügen des Beckenbach-Papieres. Aus Respekt gegenüber dem Diskussionsraum des IfÖ werde ich von einer Stellungnahme zum Papier an dieser Stelle absehen und zur Darstellung des Papieres auf dem Blog nur dieses eine hinzufügen: Diskriminierung von Gruppen und Anliegen läuft in unserer Gesellschaft nicht immer über den Weg einer offenen, streitbaren Auseinandersetzung, sondern entfaltet gerade dort ihre Macht, wo sie den Gruppen und Anliegen ihre Sprache nimmt (die Diskriminierungsforschung spricht in solchen Fällen von ‚epistemischer Gewalt‘). Die Gemeinsinn-Ökonomie ist ein neues Sprachangebot für eine neue Form und einen neuen Zweck von Ökonomie und Ökonomik. Sie könnte damit auch als ein ernsthafter Umgang mit der zumindest im ÖkMA immer wieder formulierten studentischen Kritik aufgenommen und gewürdigt werden, nicht bei Kritik und Dekonstruktion stehen zu bleiben, sondern auch einen positiven Ökonomie- und Gesellschaftsentwurf anzubieten. Die Sache ist im Werden und die im Titel monierte Unschärfe des Begriffes ist ja gerade der Sinn und Zweck der IfÖ-Klausur.
Neues sollte in einer solchen prinzipiell unscharfen Entstehungsphase abgewogen und kritisiert werden – es sollte aber m.E. auch nicht im Keim erstickt werden, weil die Diskussion von vorne herein gestört oder ihr misstraut wird. Und Neues sollte m.E. in seinem Kontext beurteilt werden, der in diesem Fall in einer ökonomisierten, neoliberalen Gesellschaft beschrieben werden könnte. Ein möglicher Entschluss Fabians hätte auch sein können, das Beckenbach’sche Papier in Ansehung des derzeit dominanten öffentlichen oder wissenschaftlichen Diskurses über Ökonomie auch einfach zu ignorieren, bzw. der internen Diskussion der Mitglieder des IfÖ zu überantworten.
Das ist schließlich der Ort, von dem die Debatte ausgegangen und wo sie nun für September angesetzt war und ist und in dessen Kontext auch das Papier entstanden war. Der Artikel missachtet nicht nur diesen geschützten Diskussionsraum, sondern lenkt nun die Aufmerksamkeit einseitig auf das Beckenbach-Papier, obwohl auch andere Mitglieder des Institutes ihre Gedanken vorbringen und diskutiert wissen wollen. Ich würde mir wünschen, dass die Klausur und ihr Ergebnis nun nicht einseitig im Hinblick auf die Thesen Beckenbachs, sondern im Hinblick auf die konzeptionelle, kritische Durchleuchtung des Begriffes und seiner Potentiale über die Bereiche der IfÖ-Studierendenwerbung und dem IfÖ-Fundraising hinaus beobachtet und beurteilt werden.
Viele Grüße,
Lukas
Lieber Lukas,
deine Stellungnahme übersieht meines Erachtens einen wesentlichen Aspekt: Die Kritik Beckenbachs steht z.Zt. allen Studierenden zur Verfügung, unkommentiert mit zwei Hinweisen versehen:
(a) Das Präsidium habe Beckenbach nahegelegt, seine Stellungnahme nicht zu veröffentlichen, (b) es fehlt z. Zt. ein offener Diskursraum über das Narrativ.
Bei allen Problemen mit dem Narrativ im Umfeld der Hochschulkrise ist Aussage (b) dahingehend zu relativieren, dass es bereits eine interne Diskussion im Institut gibt, die im September weitergeführt wird. Zudem verweist der Artikel darauf, dass im Oktober ein gemeinsames Seminar mit allen Studierenden zum Narrativ geplant ist.
Aussage (a) wurde von der Referentin der Vizepräsidentin auf explizite Frage hin weder bestätigt noch dementiert, Beckenbach hat sich per E-Mail dazu ebensowenig explizit geäußert.
Der Artikel versucht u.a. darüber Klarheit zu schaffen, für den Kreis der Studierenden, die allein darauf Zugriff haben, während die Hochschule weitestgehend in der Sommerpause ist. Insofern wollte ich das kursierende Papier nicht ‚ignorieren‘ oder allein der ‚internen Debatte … überantworten‘, da es Beckenbach selbst Studierenden zur Verfügung gestellt hat und einige sich gegenwärtig ein Urteil bilden werden. Auf welcher Grundlage? Insofern dient meine Darstellung gerade nicht dem Zwecke, der Diskussion über das Narrativ die ‚Sprache zu nehmen‘ oder ‚einseitig‘ in Richtung der Fragen Beckenbachs zu verschieben. Allein dass ich eine Teil-Kommentierung auch der inhaltlichen Kritik vornehme, nimmt niemandem etwas weg und trägt womöglich zur Debatte in der Studierendenschaft bei.
Zu deinen Kritikpunkten:
(1) mangelnde Darstellung der Kontroversität in der Studierendenschaft über das Narrativ während der Hochschulkrise: Ich habe von Ende Januar bis Anfang März keine positive Äußerung innerhalb der Studierenden vernommen, war in dieser Zeit jedoch häufig vor Ort im Studierendenhaus und habe zum Zweck der Vermittlung mit vielen gesprochen. Womöglich wurde eine solche wohlwollende Äußerung im Klima, das fast durchgängig gegen die Entscheidungen des Präsidium wehte, nicht geäußert. Insofern lege ich keine Studie vor, sondern berichte von meinem Eindruck aus vielen Gesprächen vor Ort nach Aufkommen des Narrativs.
(2) Legitimierung von Häme und Spott statt diese zu verurteilen: Hier gebe ich wieder, welche Äußerungen hinsichtlich des Narrativs mir begegnet sind. Diese sind in meinen Augen nicht zu ‚verurteilen‘, sondern zeigen im Zusammenhang des Absatzes, dass das Narrativ während einer intern denkbarst ungünstigsten Zeit präsentiert wurde – auch wenn es für Fundraising und Studierendenwerbung höchste Zeit war, nicht nur wegen der Krise.
(3) Verabsolutierung eigener Vorstellungen/Finanzprobleme: Ich vertrete weiterhin die Position, dass eine unilaterale Entscheidung, die die davon betroffenen Menschen, Mitarbeiter_innen wie Studierende, nicht einbezieht, eine Verabsolutierung eigener Vorstellungen ist. Dass finanzielle Schwierigkeiten nicht allein dem Institut für Philosophie zuzuweisen sind, wie zunächst geschehen, wurde im Nachklang der Krise meines Erachtens deutlich; gerade auch in der Begründung neuer Fundraising-Strategien, worin die alten als ‚gescheitert‘ bezeichnet wurden.
(4) fehlende Darstellung der internen Debatte über das Narrativ: Diese Darstellung fehlt in Beckenbachs Artikel. Ich hole sie jedoch mit dem Hinweis auf den Institutstag im September sowie als Kommentar im drittletzten Absatz nach.
(5) Zustimmung des Senats über Institut vorausgesetzt: Hier liegt in der Tat ein blinder Fleck des Artikels, da ich nicht frage, ob und inwiefern eine solche Zustimmung doch vorliegt. Ich werde den Artikel dahingehend ergänzen.