Naturphilosophie als Naturwissenschaft?

Was ist passiert?

Die Naturwissenschaften könnten bei „Natur“ nur an gewordene Ressourcen denken. Daher brauche es wieder eine Naturphilosophie, die eine ‚werdende Natur‘ begreifen und in den Diskurs bringen kann. Harald Schwaetzers Eröffnungsimpuls der Summer School fällt leidenschaftlich aus: Wir werden „Natur“ nicht begreifen können, wenn wir uns selbst nicht in den Blick nehmen.

Also: „Wie geht das mit der Natur?“ Es gelte, diese Frage gemeinsam zu denken und gemeinsam um die nächsten Meter zu ringen. Schwaetzer versucht sich an einer Standortbestimmung: Wir sind nicht mehr, wo und wie wir vor 2000 Jahren waren. Doch irgendwie sind wir hierher gekommen. Wir wissen zwar nicht, wie es weitergeht, aber neigen mehr und mehr dazu, die Geschichte auszublenden. (Die sinkende akademische Bedeutung der Geschichte der Philosophie, Ökonomie, Physik etc. macht diesen fehlenden Blick für die eigene disziplinäre Biographie deutlich.) Der Blick wenige Jahrzehnte zurück: Noch in den 60er und 70er Jahren habe das Philosophieren über Natur einen starken „Impact“ auf gesellschaftliche Verhältnisse gehabt. Als später Ausläufer konnte etwa Hans Jonas für sein Prinzip Verantwortung noch  1987 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten, stellt Schwaetzer fest.

Seitdem beobachte er eine bedenkliche Entwicklung. Philosophieren über Natur sei zu reiner„Naturwissenschafts-Philosophie“ geworden. Als solche habe sie nichts mehr beizutragen in der Gegenwart, die gerne und ratlos „Anthropozän“ genannt wird – in der Schwaetzerschen Übersetzung: „Welt ist gut, Mensch ist schlecht und bald ist alles vorbei.“

Genese und Geltung

Was aber ist das Problem an einer Naturphilosophie, die nach dem Vorbild der Naturwissenschaften agiert, „vernaturwissenschaftlicht“ wurde, wie Schwaetzer es nennt? Er erläutert dies anhand der Unterscheidung von Genese und Geltung: Jede*r habe in der Schule gelernt, dass die Innenwinkelsumme eines euklidischen Dreiecks 180 Grad betrage. Dieser Satz habe Geltung, unabhängig davon, ob einzelne ihn in seiner Entstehung bei Euklid nachgelesen haben oder gar beweisen können. Das Vertrauen auf Geltung mag in bestimmten Bereichen reichen, in anderen geht es nicht ganz so problemlos: Wenn wir in Bildungsfragen Verläufe und Entwicklungen ausblenden und uns nur auf die Produkte konzentrieren, verlieren wir den wesentlichen Aspekt des Werdens, die Genese, aus den Augen.

Genau von diesem Fokus auf die Produkt-Seite sei jedoch unser Umgang mit der Natur bestimmt: Ökologisch-naturwissenschaftlich interessiere uns heute etwa nur noch, wie wir Wälder „nachhaltig“ bewirtschaften können. Wie unser Umgang als „nachhaltig“ gelten kann. Wir meinen, den großen und ständigen Entstehungsprozess von Natur nicht mitdenken zu müssen. Es ist demnach ein Denken über das, was von Natur am Ende übrig bleibt – was wir wirtschaftlich verwerten können. Mit Blick auf den Geburtstag von Karl Marx weißt Schwaetzer darauf hin, dass dessen These zwar generell falsch sei, alle gesellschaftliche Verhältnisse seien auf ökonomische Produktionsverläufe zurückzuführen. Als Gegenwartsbeschreibung tauge diese These jedoch leider ziemlich gut. Das treibt auch die Denker*innen einer alternativ-kritischen Ökonomie an der Cusanus Hochschule um: Sie wenden sich gegen die „Ökonomisierung“ aller Lebensbereiche.

Werdende Natur?

Doch was sind diese Genese-Zusammenhänge, die außen vor bleiben in der gegenwärtigen Naturphilosophie? Wie sieht eine „Naturphilosophie nach dem Ende der Natur“ aus, wie der Titel der Summer School angibt? Nach dem Ende der werdenden, lebendigen Natur, der natura naturans (von lat. nasci: geboren werden)? Schwaetzer kann heute nur Andeutungen machen: Um werdende Natur erfahren und denken zu können, werden wir andere Sprachen und andere Ohren brauchen, stellt er in den Raum. Für einen neuen Naturbegriff brauchen wir … erst einmal „ziemlich viel Begegnungsfläche“, etwa die Erfahrung eines Wasserfalls.

Schließlich stellt sich uns nicht zuletzt die Frage, wer wir eigentlich sind. Ohne diese Frage zu ergreifen, werden wir die Natur nicht als Mitwelt, als Mitgeschöpf, denken können. Wir ringen also um die nächsten Meter. Aber immerhin tun wir es – und können es bei über fünfzig Teilnehmer*innen der Summer School auch gemeinsam tun.