Summer School Naturphilosophie, 1.–5. Mai 2018, Bernkastel-Kues.
Denk-Kreise und morgendliche Wahrnehmungsübungen, Nature Writing, interkulturelle Einblicke und ein Sensorik-Seminar: Die heute beginnende ‚Summer School Naturphilosophie‘ verspricht viele Formen der Annäherung an das Thema ‚Natur‘. Sie will sich weder in nüchtern-distanzierter Erforschung noch verklärter Bewunderung verlieren. Denn implizit schwingt mit: Wir müssen den Frage-, den Entdeckungs- und gemeinsamen Denk-Raum möglichst offen halten. Nur so können wir die Wirklichkeit, in der wir leben, greifen und verantworten lernen. Der Einladungstext beschreibt deutlich, wo diese Wirklichkeit angesiedelt ist:
Nach dem Ende des Menschen und nach dem Ende der Natur stehen wir heute vor einer Wirklichkeit, in der die Frage nach der Natur zugleich eine Frage nach uns selbst wird.
Es soll also nicht nur darum gehen, in den Wald zu gehen und den Wald (und uns) vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Vielleicht werden wir nach dieser Woche auch seltener den Baum als Inbegriff der Natur und das Sehen als Inbegriff unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten bemühen. Es ist nicht weniger als die Frage nach den Bedingtheiten menschlicher Existenz im 21. Jahrhundert. Da ist es nur konsequent, mindestens den Donnerstagnachmittag Lektüre-Kreisen zu den Existenzphilosoph*innen Hannah Arendt, Hans Jonas, Heinrich Barth und Günther Anders zu widmen.
Die Vielfalt des Vormittags
Heute wird zunächst Harald Schwaetzer die Teilnehmer*innen mit einem Impuls begrüßen. Er ist es, der maßgeblich den Schwerpunkt ‚Naturphilosophie‘ an der Cusanus Hochschule setzen möchte. Die Summer School ist einer der Anfänge. Letztlich lag diese vor allem in den Händen dreier Studierender – drei Frauen*, auch nicht so häufig in der akademischen Philosophie.
Ihr Plan klingt sinnvoll: Die Morgende, wenn der Geist noch frisch ist, wird es ‚Zeit für Natur, Kunst und In-Bewegung-Sein‘ geben. Die angebotenen praktischen Übungen sprechen für sich: ‚Einkreisen‘. ‚Natur – was ist uns eigentlich Natur?‘ ‚Wahrnehmung und Vorstellungsbildung in Natur‘. ‚Tanzimprovisation mit und in der Natur‘. ‚morgendliche Schreibmeditation‘ – um nur ein paar zu nennen. Bei den meisten steht ‚Ort: draußen‘. Da soll noch eine*r sagen, Philosoph*innen säßen nur im stillen Kämmerlein. Sie haben auch Aktivist*innen aus dem von RWE bedrohten Hambacher Forst eingeladen.
Von draußen geht es in einem gemeinsamen Spaziergang für die Vormittagsvorträge in den Festsaal des Weinmuseums. Dabei stehen sowohl historische Aspekte (Antike, 19. Jahrhundert) auf dem Programm wie auch Reflexionen zur ‚Instabilität‘ (Jan Schmidt), ‚Überschwelligkeit in Natur und Technik‘ (Harald Schwaetzer) und ‚Handlungstheorien‘ (Gianluca Cuozzo). Dass es nicht beim frontalen Vortrag bleiben wird, deuten die Tischgruppen an, die einige Studierende für anschließende Gruppengespräche im Festsaal aufgebaut haben.
Denk-Kreise, Einblicke und Konzerte
Nach der Mittagspause am heutigen Tag: Lektüre-Kreise zu Adalbert Stifter, Nikolaus Cusanus und Lukrez. Das dürften für viele nicht die ersten Autor*innen sein, die beim Thema ‚Natur‘ in den Sinn kamen. An den anderen Tagen: ‚Gespräche und Erfahrungsräume‘, etwa zu ‚Finanzialisierung von Natur‘ (Jutta Kill) oder ‚Klimawandel und Journalismus‘ (Susanne Götze). Anschließend wandert der Blick nach Japan und Lateinamerika. Mit Kazuhiko Yamaki haben die Organisator*innen nicht nur einen Cusanus-Forscher eingeladen, sondern auch engagierten Nach-Denker der Atomkatastrophe von Fukushima Dai-chi.
Am Abend stehen Kaminabende und Konzerte auf dem Plan. Sicherlich wird auch noch das ein oder andere Gespräch, die ein oder andere Begegnung, am Abend fortwirken. Besonders freudig erwarte ich den südafrikanischen Chor ‚Vulingoma‘, der am Donnerstagabend in der Güterhalle singen wird (20 Uhr, Eintritt frei, Spenden erbeten). Gegen Ende der Woche gibt es auch vermehrt Formate, um die verschiedenen Kreise zusammenzuführen: Die Fishbow-Diskussion (u.a. mit Thomas van Elsen) am Freitag sowie eine Abschlussdiskussion am Samstagnachmittag.
Gelebtes Ver-Antworten
Bekocht wird das alles von einer Gruppe Studierender, die Lebensmittel vom demeter-Hof ‚Breit‘ zu köstlichen Speisen zaubern werden. Schließlich wird es auch immer wieder um ‚Verantwortung im Alltag‘ gehen, um Ernährung, Landwirtschaft oder die leider für viele zur Normalität verkomme Flugreise. Dass sich die Hochschule diesem Thema annimmt, spricht wiederum für Weitsicht und gelebtes Ver-Antworten.
Was wir, Teilnehmer*innen und Beitragende, nach dieser Woche wohl denken, wenn wir ‚Natur‘ denken? Wir werden es wissen und zu teilen versuchen. Die Summer School bewegt vor allem die Frage, was möglich ist. Und was wir dringend brauchen: Stehen-Bleiben und echtes Denken über unsere eigene und die uns umgebende Natur. Der Blick drauf, wie es so weit kommen konnte und wie und wo es anders gehen könnte. Ich bin gespannt und mache mich gleich auf den Weg zur offiziellen Eröffnung, durch die Glyphosat-geschundenen Weinberge.